Quo vadis (Kommerz-)Fußball?
Ein Kommentar von Andreas Jahnecke
„Der VfL Halle 96 kann zukünftig eine der Adressen für Fans sein, die sich vom zunehmend kommerzialisierten Fußball abwenden und die (romantische, einfache) ursprünglich bodenständige Atmosphäre des beliebtesten Mannschaftssports der Welt genießen möchten“. sprach 96 – Geschäftsführer Gregor Schoenecker auf dem Neujahrsempfang der 96er, Januar 2020. Eine nicht gänzlich unberechtigte These.
Schaut man in das Mutterland des Fußballs, soviel britisches Selbstverständnis muss sein, gruselt es dem Fan aus der Kategorie „Romantiker“ oder „Ewig Gestrige“ gewaltig. Allein in der englischen Premierleague tummeln sich mittlerweile nur noch Investmodelle, Spekulationsobjekte und Spielzeuge arabischer, asiatischer, US – amerikanischer und russischer sogenannter Investoren, Oligarchen, Scheichs und weiß der Fuchs. Somit kann man bei der englischen PL mittlerweile getrost von einer reinen „Konstrukteliga“ sprechen, welche sich dabei der noch gebräuchlichen alten, großen, ruhm- und traditionsreichen Clubnamen bedient. Die einst einzigartige Stimmung englischer Stadien entschwindet durch das „Eventhopping“ häufig eingeflogener Kundschaft aus fernen Ländern dabei zusehends. Auch, weil die wirklichen Fans die Tickets häufig nicht mehr zahlen können oder einfach die Schnauze voll haben von dem ganzen „Zauber“. Dabei ist jedoch nicht alles Gold, was so von der Insel auf das Festland schwappt. Rund 450 Mio. Euro Schulden sollen wohl aktuell Manchester United plagen und mit etwa 67% (Stand 2019) ist der Anteil ausländischer Spieler so hoch wie in keiner anderen europäischen Spitzenliga. Nicht so gut für die Ansprüche des Verbands hinsichtlich seiner Auswahlmannschaften, aber die Gelddruckmaschine PL läuft ja zur vollsten Zufriedenheit.
Und in Deutschland? Hier tut man sich, zum Glück, doch noch schwer mit den angeblichen Segnungen des Investoren-, Konzern- und sonstigen Eignerfußballs, also alles wo der (einstige) e.V. komplett an den Rand gedrängt oder als formaler Alibi – 1% – Anteilseigner auftaucht. Das Kunstprojekt Rasenballsport Leipzig oder die zum Bundesligisten aufgepustete TSG 1899 Hoffenheim zeigen jedoch, es ist auch Obacht geboten! So wie im Fall Hannover 96 und dessen Präsidenten Martin Kind umgesetzt. Das aktuelle Durcheinander bei Hertha BSC zeigt beispielgebend auf, auch mit Investor wird nicht automatisch alles besser. Da wurde mit Jürgen Klinsmann ein einstiger Welt- und Europameister, Nationaltrainer (D, USA) und Trainer des FC Bayern München, Spieler in Stuttgart, Bayern, London (Tottenham) und Mailand (Inter) beim westlichen Hauptstadtclub installiert. In der Winterpause wurden etwa 80 Mio. Euro in den Kader investiert und mit markigen Sprüchen vom „Big City Club“ oder „Auf Berlin kommt Großes zu“ eine vermeintlich verheißungsvolle Zukunft beschrieben. Das Aufbruchbeben beim „spannendsten Hauptstadtclub Europas“ war so gewaltig, dass wohl selbst die Trophäen in den großen Clubmuseen zu Barcelona oder Madrid vor sich hin vibrierten. Nur wenige Wochen später erfolgte die unsanfte Landung auf dem Boden der Realität. Klinsmann schmiss als Trainer hin, die Aufsichtsratsmitgliedschaft ist beendet, die „Olle Tante“ befindet sich im Abstiegskampf, taugt somit zumindest als abschreckendes und zugleich mahnendes Beispiel und was dem geneigten Anhänger der Blau – Weißen wohl am meisten auf den Magen schlagen dürfte, die kultigen Unioner schlagen sich als Neuling aktuell mehr als wacker in der höchsten Spielklasse – mit aktueller Punktgleichheit zu HBSC, bei besserer Tordifferenz.
Das wird natürlich mindestens einen „Ausgliederungsjünger“ nicht davor abschrecken vom „modernen Fußball“, Marktwirtschaft und Alternativlosigkeiten wegen Anschluss verlieren und so zu referieren und alle Contrageber als „Romantiker“ und „ewig Gestrige“ in die Ecke der Ahnungslosen, also Ecke nicht Tal, zu positionieren. Einer wird immer um Selbige kommen!
Da ist es gut, dass es in der 1. Bundesliga aktuell mit Mainz 05, SC Freiburg, Union Berlin und Schalke 04 noch vier wirklich Aufrechte unter dem Kürzel „e.V.“ gibt. Einer davon spielt dabei sogar fast regelmäßig international bei den Großen mit, ist mit rund 160.000 Mitgliedern weltweit die auch im Clubnamen vertretene Nummer 04 und war 2019 auf Platz 15 der umsatzstärksten Vereine. Zeigt also, man muss nicht unbedingt seine Seele zu Markte tragen um Spaß und Erfolg am/beim Fußball zu haben. Das trifft auch vollumfänglich auf die erstgenannten Drei zu, deren Erfolg sich bereits im Erhalt der Liga widerspiegelt. Was jedoch alle vier Clubs eint, eine fast religiöse Verbundenheit der Mitglieder und Anhänger. Das gipfelte beim 1.FC Union Berlin sogar darin, dass Fans am heutigen Bild der „Alte Försterei“ einen ganz, ganz großen Anteil haben. Fans bauen Stadion, aktuell wohl weltweit einzigartig.
Sicher, einige Ligen tiefer, fällt das Ganze schwerer, So ganz ohne Finanzen läuft es auch hier nicht. Doch zeigen auch Fan – Initiativen wie „Support your local Team“ auf, dass der ein oder andere schon auf Distanz zum marktkonformen Fußball gegangen ist. Bisherige „Krone der Schöpfung“ ist hierbei sicher der FC United of Manchester. Nach Übernahme von Manchester United FC durch einen US – amerikanischen Investor im Jahr 2005 von enttäuschten Fans gegründet und in Liga 10 gestartet, ist der Club aktuell in der 6. englischen Liga unterwegs.
Interessant und teils auch rasant verläuft das Ganze mittlerweile ja auch vor dem Bildschirm. Mittlerweile zig gesplittete Übertragungen lassen fragen, ab wann in der Gastronomie mehr Receiver, Sticks etc. pp. die Gaststuben bevölkern als sehende Gäste und wann Bibel – TV das erste Spiel einer Auswahl des Vatikan überträgt? Anbieten würde sich da ja eine Partie gegen eine Wittenberger Auswahl, wegen Katholiken, Evangelisten und Luther.
Die bedenkliche Entwicklung lässt mittlerweile auch viele Verantwortliche in den Clubs ratlos zurück. Da werden immer mehr Wettbewerbe für den „Götzen Kommerz“ aus dem Boden gestampft, sodass die Regeneration der Spieler auch immer schwerer zu bewerkstelligen sein wird. Sinnlosideen wie nationale Saisoneröffnungs- oder Finalspiele in Asien oder Übersee machen die Runde. Die Front der Fragenden wann oder ob überhaupt die ganze Blase uns mit lautem Knall um die Ohren fliegt, wird breiter. Obwohl, dass Überhaupt sollte nicht zur Debatte stehen. Als ein Spiegelbild der Gesellschaft, ist letztlich auch der Fußball den Abläufen im aktuell bestehenden kapitalistischen System ausgeliefert und in diesem flog einem ja schon so Manches um die Ohren.
Ob spätestens dann Vereine wie der VfL Halle 96 oder Chemie Leipzig profitieren? Oder sind es letztlich alle wenn das Ganze, getreu dem Motto „Weniger ist Mehr“, auf ein gesundes Maß geschrumpft wird?
Der VfL Halle 96 zumindest hat viel von dem, was es für das gesunde Maß Fußball braucht, muss es aber auch abrufen und sollte vor allem auch die Chance bekommen, sich in einer, heute schwierigen, Fußballwelt zu behaupten.
Eine tiefgehende Betrachtung des Themas kann man in dem 2019 erschienen Buch „Ballverlust: Gegen den marktkonformen Fußball“ nachlesen. Prädikat des Werks von Autor Christian Bartlau: LESENSWERT!!! Für „ewig Gestrige“ und „Ausgliederungsjünger“ gleichsam.
Beitrag veröffentlicht am 19. Februar 2020